Geschätzte Dauer: 3 Stunden

Rationality: 

Die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die durch Defizite in der sozialen Kommunikation und der sozialen Interaktion sowie durch das Vorhandensein eingeschränkter, sich wiederholender (repetitiver) Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. Defizite in der sozialen Kommunikation zeigen sich auf unterschiedliche Weise – und können sowohl Beeinträchtigungen hinsichtlich der Aufmerksamkeit (auf andere, gemeinsam mit anderen) und der sozialen Reziprozität als auch Schwierigkeiten bei der Nutzung verbaler und nonverbaler Kommunikationsmittel umfassen. Eingeschränkte, sich wiederholende Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten äußern sich vor allem durch stereotyp, immer wieder auf dieselben Dinge Bezug nehmendes Sprechen, durch stereotypisierte motorische Bewegungen oder das „zwanghafte“ Hantieren mit bestimmten Gegenständen, durch unflexibles Festhalten an Routinen, eingeschränkte Interessen sowie durch Hyper- und/oder Hyposensibilität gegenüber sensorischen Reizen. Diese Definition steht im Einklang mit den diagnostischen Kriterien für ASS, wie sie im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5. Ausgabe (DSM-5; American Psychiatric Associatin [APA], 2013) beschrieben sind. Bei der näheren Betrachtung von Menschen mit ASS sollten jedenfalls die Komponenten der sozialen Kommunikation (ASHA, 2021) sowie die Richtwerte derselben (ASHA, 2021) gut bekannt sein und berücksichtigt werden, um die Merkmale der Person auch möglichst genau identifizieren und beschreiben zu können: Erwachsene z.B. verwenden nämlich verbale und nonverbale Sprache oft kompetent und flexibel. Sie „navigieren“ sozusagen flexible und fließend durch verschiedene Register, schließen oft enge Freundschaften und führen romantische Beziehungen. Auf jeden Fall müssen bei der Beurteilung, ob die Kriterien für ASS im konkreten Fall auch richtig Anwendung finden, immer auch diese und andere kulturell-sprachliche Faktoren berücksichtigt werden. Menschen mit ASS haben oft Problem mit der Kommunikation und mit sozialem Umgang. Es fällt ihnen schwer, Gespräche zu führen, und sie nehmen möglicherweise bestimmte soziale Signale (gar) nicht wahr. Aber auch hier ist die Bandbreite recht groß. Einige Menschen mit ASS sprechen gar nicht – und können das auch nicht –, andere wiederum können das sehr gut. Aber grundsätzlich haben sie alle Schwierigkeiten dabei, Freund*innen zu finden und sozial zu kommunizieren (ASHA, 2021). Nicht zuletzt aus diesem Grund (d.h. weil die Beeinträchtigung der sozialen Kommunikation unter ihnen so verbreitet ist) haben sie Anspruch auf Leistungen zur Förderung ebendieser Bereiche – zur Förderung von Kommunikations-, Sprach- und Sprechkompetenzen. Diese sollten in allen möglichen Kontexten eingesetzt werden (ASHA, 2021). Es ist daher auch notwendig, sich für die Einbeziehung der Strategien zur Verbesserung der sozialen Kommunikation, Interaktion wie allgemein der sozialen Fertigkeiten, aktiv einzusetzen. Man leistet dadurch einen großen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und damit auch der Lebenszufriedenheit von Menschen mit ASS. Außerdem ebnet man ihnen so die Chance auf ein erfolgreiches und möglichst selbstbestimmtes Leben.

Die sozialen Kommunikationsprobleme von Menschen mit ASS betreffen und beeinflussen natürlich auch deren Kommunikationspartner*innen. Familienmitglieder, Freund*innen, Lehrer*innen und Mitarbeiter*innen stehen allesamt vor der Herausforderung, dazuzulernen – subtile Kommunikationsangebote zu erkennen und darauf zu reagieren, die „Funktionen“ von herausfordernden Verhaltensweisen zu interpretieren usw. Menschen mit ASS berichten jedenfalls weitgehend übereinstimmend, dass sie sich trotz ihrer sozialen Kommunikationsprobleme Freundschaften und Beziehungen wünschen. Gerade Gleichaltrige (Peers) fühlen sich oft unsicher und unvorbereitet auf den sozialen Austausch mit Menschen mit ASS – und können daher auf deren soziale Annäherungsversuche oft einmal negativ reagieren (z.B. durch Hänseleien oder Mobbing). Es ist bekannt, dass sich dieser Mangel an angemessenem Engagement – und erst recht Mobbing u.Ä. – äußerst negativ auf die Entwicklung der sozialen Fertigkeiten von Menschen mit ASS auswirken kann (ASHA, 2021). Aufgrund der Komplexität und der vielen Faktoren, welche in die Ausprägung der Störung (ASS) hineinwirken, haben viele Forscher*innen in den letzten Jahren ihre Studien intensiviert, und liefern nunmehr Belege für evidenzbasierte Praktiken und Trainings, die für Menschen mit ASS gerade in den angesprochenen sensiblen Bereiche besser wirken als bisher. Als Bereiche, in denen es am meisten Förderung/Intervention bedürfte, wurden all jene Angelegenheiten identifiziert, in denen die sozialen Fertigkeiten von Menschen mit ASS gefordert sind (z.B. Situationen, die Interaktion schlicht erfordern), sowie erneut das gesamte Spektrum an kommunikativen Fertigkeiten (z.B. um eigene Wünsche, Bedürfnisse, Vorlieben, Gefühle, Ideen auch zum Ausdruck bringen zu können) – was deren Bedeutung nur noch unterstreicht (Wong et al., 2013). Das vorliegende Modul beabsichtigt, genau diese Zusammenhänge besser verständlich zu machen – zunächst die Eigenarten der sozialen Kommunikation und der sozialen Interaktionsfertigkeiten von Menschen mit ASS zu beleuchten; dann auf die wichtigsten dahinterstehenden Konzepte einzugehen (deren Grundlagen, Bedeutsamkeit und Grundeigentümlichkeiten zu vermitteln); und schließlich eine Verbindung zu den tatsächlichen, tagtäglichen praktischen Herausforderungen von/für Menschen mit ASS herzustellen – d.h. darauf hinzuführen, wie sich diese in derartigen Situationen fühlen (können), und wie man diesen Schwierigkeiten helfend begegnen kann.

Auf diesem Weg der Einbeziehung konkreter lebensweltlicher Erfahrungen von (erwachsenen) Menschen mit ASS und stärker wissenschaftlich-theoretischer Konzepte sollen darüber hinaus auch die neueren – „breiteren“ – Definitionen der Autismus-Spektrum-Störung lebensnah veranschaulicht werden.